Wenn die Welse den Fluss verlassen: „Das Ende der Welt“ von Pierre Wazem und Tom Tirabosco erzählt eine poetische Geschichte auf hohem künstlerischen Niveau.
Alles ist dunkel und es regnet in Strömen. Bei einem Unfall wird das Auto einer Familie von einem Baum zerquetscht. Einige Jahre später ein ähnliches Szenario: sintflutartige Regenfälle. Die Welse steigen vom Grund der Flüsse auf – der Weltuntergang scheint bevorzustehen.
Eine zwanzigjährige Frau verbringt vor diesem Hintergrund ihre Zeit in Lethargie und Ziellosigkeit. Als ihr Vater einen Herzinfarkt erleidet und ins Krankenhaus eingeliefert wird, macht sich die Protagonistin zum Haus des Vaters auf, um sich um die zurückgelassene Katze zu kümmern. Dort trifft sie auf auf eine geheimnisvolle alte Frau, die mit Katzen sprechen kann. Gemeinsam machen sie sich später auf den Weg ins Obergeschoss des Hauses, in dem das ‚verbotene Zimmer‘ liegt. In dem Zimmer befindet sich ein Tor zu einer anderen Welt…
Von da an nimmt die Geschichte einen fast märchenhaften, traumhaften Handlungsverlauf, der hier nicht weiter verraten werden soll.
In surrealen Bildern wird er Leser durch diese Welt geführt. Aber keine Sorge, „Das Ende der Welt“ ist kein abgedrehtes Kunstbuch, das einen erläuternden Sekundärband benötigt, sondern subtile Unterhaltung auf hohem künstlerischen Niveau.
Der Faden der Geschichte geht auch in den bizarren Sequenzen nicht verloren, und am Ende wird der Bezug zum Anfang der Geschichte hergestellt.
Der Berliner Avant-Verlag hat hier mal wieder ein glückliches Händchen bewiesen und macht den deutschen Comic-Lesern eine echte Rosine in gewohnt geschmackvoller Ausführung (Strukturkarton-Cover mit mattem Druck) zugänglich. Die Graphic Novel aus der Hand des Schweizer Teams Wazem / Tirabosco ist eine melancholische, unheilschwangere und zugleich am Ende versöhnliche Geschichte über Leben und Tod und und liegt dabei grafisch ganze weit vorne.
Den Vergleich mit aufwändig produzierten klassischen Alben braucht dieser Band trotz (oder gerade wegen) des monochromen Stils nicht zu scheuen. Die große Stärke des Buches liegt in der vermittelten Stimmung. Der Zeichner fängt die Weltuntergangsatmosphäre perfekt mit düsteren, exzellenten schwarz-weiß-blauen Kreidezeichnungen ein.
Im Kontrast dazu stehen die oft hell und freundlich gezeichneten Gesichter der Menschen, durch die trotz der düstere Grundstimmung immer wieder das Leben melancholisch durchscheint, das am Ende auch siegt – und das ohne jede Melodramatik.
„Das Ende der Welt“ ist einer dieser Comics mit Sogwirkung: Nach ein paar Seiten kann man das Buch nicht mehr beiseite legen.
Der Band ist dabei nicht nur Comic-Kennern zu empfehlen, sondern allen die mal wieder ein richtig gutes Buch mit ansprechender Story und perfekten Zeichnungen lesen wollen.
Pierre Wazem / Tom Tirabosco: Das Ende der Welt, Softcover, 120 Seiten, 17,95 Euro, Avant-Verlag. Das Buch wurde mit mit dem Prix œcuménique 2009 und dem Preis der Stadt Genf ausgezeichnet.
Dieser Artikel ist eine aktualisierte Fassung des im März 2009 in meiner Kolumne im Comicblog des Berliner Tagesspiegels erschienenen Artikels „Nach der Sintflut“.