Sie müssen erzählen

Gift

Immer wieder ein beliebtes Thema vor der Ladentür: die Diskussion um den Sinn und Unsinn der Bezeichnung "Graphic Novels". Vor einiger Zeit ist nun wohl so etwas wie der deutsche Prototyp für diesen Stil erschienen: Peer Meter &  Barbara Yelin – Gift.

"Gift", das dürfte inzwischen bekannt sein (und so braucht es auch keinen weiteren Sticker auf dem schönen Cover), ist die Geschichte der 15fachen Giftmörderin Gesche Gottfried aus Bremen. Eine der letzten Frauen, die in Deutschland – 1831 -hingerichtet wurden. Aber eigentlich geht es in dem Comic weniger um sie – ihre Taten sind unbestritten – als um den Umgang bzw. den Nichtumgang der Gesellschaft mit dieser (kranken) Frau: wie kann es eine Stadt zulassen, dass in ihrer Mitte jahrelang eine Giftmörderin ihr Unwesen treibt, ohne das jemand eingreift. Es geht um die Emanzipation der Frauen und die Ignoranz der Männer. Ein Comic auf mehreren Ebenen und ein zutiefst deutscher Comic, getragen von dem was im Ausland oft als "german geist" bezeichnet wird.

Es ist die Welt kleiner Mädchen, die sich ihre Welt gerne von Professor Nietzsche erklären lassen. Eine Welt voller dunkler Schatten. Die Segnungen der französischen Revolution sind noch nicht bis Bremen durchgedrungen – die Stadt ist dabei zu versanden. Die Grafiken spiegeln das, wie ich finde, ganz gut wieder. Überhaupt gefallen mir die Stadtansichten in der Regel besser als die Innenansichten. Letztere sind dann doch manchmal etwas sehr dunkel und verschwommen geraten, aber eigentlich nehmen sie auch nur den zutiefst bedrückenden Zustand der Erzählung an, die schlussendlich in einer fulminanten Hinrichtungsszene mündet. Also doch eher "german angst"? Ich muss Andreas Platthaus Recht geben, wenn er die Erzähltechnik als maniriert bezeichnet. Peer Merten erzählt keine Geschichte, er lässt Geschichten erzählen. Das wirkt mitunter so konstruiert, wie in einem schlechten Liebesroman. Und so kann ich mich  auch nicht entscheiden, was ich denn von dem Buch halten soll. Am Ende doch nur ein "Coffeetablebook" für das gute Gewissen? Nun, dieser Comic tut nicht wirklich weh, aber es kann auch nicht schaden, näher hinzuzusehen.

Um zurück auf "Graphic Novels" zu kommen. Comics müssen ganz sicher nicht nur! komisch sein – bestes Beispiel Art Spiegelmans "Maus". Eine Geschichte sollten sie allerdings schon erzählen. Es gab einmal den Begriff der "illustierten Geschichten". Ich bevorzuge Comics, damit bin ich aufgewachsen. D.h. "Comics und Graphics", das ist in der Tat eine gute Namenswahl, Frank ;). Ansonsten: das Universum ist gross, und die Landschaften blühend …

Peer Meter & Barbara Yelin: Gift
Softcover, 200 Seiten, schwarz-weiss, 20 EUR