Die Chroniken von Centrum

Die Chroniken von CentrumIrgendwann in der Zukunft. In Folge der Überbevölkerung herrschen katastrophale  Zustände. In Europa gibt es nur noch eine einzige riesige Stadt: ein Moloch namens Centrum. Um die Überbevölkerung in den Griff zu bekommen, wählt der Staat jedes Jahr eine Million Menschen per Los aus, die eleminiert werden. Der Leser des Buches begleitet einen der staatlich legitimierten Vollstrecker, genannt das Frettchen bei der Arbeit. Anfangs übt das Frettchen seinen Job professionell und ohne Fragen zu stellen aus. Im Verlauf der Geschichte kristallisiert sich jedoch heraus, dass bei der Auslosung der Opfer etwas nicht stimmt. Der Killer stellt Ermittlungen an und wird schließlich selbst zum Gejagten.

 

"Die Chroniken von Centrum" ist die Adaption des Romans "Le Travail du Furet" von Jean-Pierre Andrevon aus dem Jahre 1983, zeichnerisch umgesetzt von Afif Khaled. 1983 – das war ein Jahr nach Erscheinen des Spielfilms "Blade Runner",  dessen Einflüsse man auch der modernen Comicumsetzung deutlich anmerkt. Dies betrifft jedoch nur die 'Kulisse' und die Noir-Atmosphäre. Inhaltlich geht Centrum einen ganz anderen Weg. Auch hier lassen sich Referenzen im amerikanischen Spielfilm finden. Bereits 1973 erschien der Film "Soylent Green", der das Thema Überbevölkerung aufgriff.

Soylent Green DVD CoverSoylent Green  (dt. Titel: "2022 – die Überleben wollten") spielt in einem mit 40 Millionen Einwohnen überbevölkerten New York im Jahre 2022. Natürliche Nahrung ist knapp geworden, die Menschen ernähren sich von künstlich hergestellten Chips, das nahrhafteste Essen ist das sogenannte Soylent Green, welches angeblich aus Plankton hergestellt wird. Die Hauptfigur ist ein Detektiv, der den Mord an einem hochgestellten Beamten aufklären soll, und im Zuge der Ermittlungen dem erschreckenden Geheimnis der wahren Herkunft des Nahrungsmittels auf die Spur kommt.
Der Film setzt – im Gegensatz zu "Die Chroniken von Centrum" auf eine absolut realistische Darstellung der Orte und Menschen. Fantastische Elemente hat der Film eigentlich kaum. Bereits 1973 war die Thematik vorhersehbar, die heute aktueller denn je ist. 

Logan's Run DVD Cover

Eine weitere Referenz ist der Film "Logan's Run" (dt. Titel: "Flucht ins 23. Jahrhundert", USA 1976). Im Jahre 2274 leben dort die Menschen in Idylle in geschlossenen, Einkaufzentren-ähnlichen Quartieren. Mit dem 30. Lebensjahr werden die Menschen in einer Zeremonie umgebracht – zur Regulierung der Überbevölkerung. Ein paar Menschen, die sogenannten Runner entziehen sich der Hinrichtung. Die Hauptfigur des Films ist ein Sandman, der Jagt auf die Runner macht. Später wird der Sandman selbst zum Gejagten.

 

"Die Chroniken von Centrum" ist nun eine Art Verschmelzung der oben genannten filmischen Referenzen. Er vereint die düstere Ausstattung des Blade Runners mit der Liquidierungsidee aus Logan's Run, sowie die realistische, und manchmal deprimierende Ausweglosigkeit aus Soylent Green, die sich dann auch im Finale niederschlägt. Es gibt Raumschiffe, Holographien, dauernd regnet es, und die Hauptfigur läuft wie in einem Sam Spade oder Marlow-Streifen meist mit Hut und Mantel durch die Szenerie. Weiterhin wartet der Band mit einigen Actionszenen auf. Der aufmerksame Leser wird noch andere Filmreferenzen entdecken, die ich hier nicht alle verraten möchte.

Grafisch umgesetzt wird dies in einem hohen Detailgrad, vielen Lichteffekten und Reflexionen in fulminanten Bildern.

Wie auch die genannten Filme ist Centrum keine tiefschürfende Sozialanalyse oder besonders hintergründige Ökokritik, sondern schlichtweg gute Unterhaltung und auch Hommage an die Science Fiction – Filme der 70er Jahre. Die Themen Überbevölkerung und Ökologie werden als Aufhänger für eine spannende Edeltrash-Noir-Geschichte benutzt. Eine Message hat der Band dann aber am Ende doch – aus der Nummer Überbevölkerung mit einhergehender Zerstörung der Ökosysteme kommt man nicht mehr so einfach wie der Sandman aus "Logan's Run" raus, draussen vor der Stadt gibt es dann keine grüne Idylle mehr. Der Comic bietet keine Lösung für die Problematik an, und das ist dann bei allem Overacting und SciFi-Ambiente wieder ehrlich und konsequent. Wir dürfen es eben garnicht so weit kommen lassen. Wer unbedingt ein Happy End braucht, liest besser was anderes.

 

Die Chroniken von Centrum
von Jean-Pierre Andrevon, Afif Khaled
ECC
Abgeschlossener Einzelband
144 Seiten, Farbe, Hardcover
39,95 EUR
ab 14 Jahre