Vor kurzem hatten wir jemanden im Laden, der wollte etwas für seinen elfjährigen Sohn kaufen. Nur sollte es auf keinen Fall Fantasy oder Science Fiction, sondern was Realistisches sein.
Da fragt man sich, woher die neue Aversion gegen phantastische Stoffe kommt, die sich teilweise ja auch im Feuilleton widerspiegelt – indem über solche Themen schlichtweg selten berichtet wird.
Ich finde das bedauerlich und sogar bedenklich. Ist Fantasie neuerdings etwas schlechtes? Wir werden tagtäglich aus TV und Presse mit einer unglaublichen Flut an Negativmeldungen zugedröhnt. Selbst im Kika-Vorabendprogramm werden den Kids Berichte über Tretminen in Mozambique und Selbstmordattentäter zugemutet. Zweifellos sind dies wichtige Themen. Nur was bringt es, wenn die Träume und Fantasien der Kids von diesem Realitätskram vergiftet werden?
Wie sich anspruchsvolle Themen in phantastische Erzählungen einbauen lassen, zeigte die Serie "Star Trek – The Next Generation". Meiner Auffassung nach die aufgeklärteste TV-Serie aller Zeiten und ein großes Kunstwerk des 20. Jahrhunderts. In 178 Folgen wurde hier ein moralischer und ethischer Diskurs geführt. Nahezu alle bedeutenden Themen wurden in dieser Serie verarbeitet. Ob es nun um den Konflikt von Menschen und Maschinen und künstlicher Intelligenz, um Terrorismus, Widerstand, Freiheit, Selbstverwirklichung, um alternative Lebensstile, um Nichteinmischung in die Belange fremder Kulturen, um Technizismus, um Drogen, um Liebe, Tod und was man sich sonst noch vorstellen kann ging – hier wurde alles intelligent und unterhaltsam zugleich verarbeitet. Und immer hatte die Serie einen positiven Spirit. Die Serie hatte eine Vision, die sich in der 'Obersten Direktive', einer Art universeller Verfassung manifestierte. Davon könnten sich heute viele Erzähler und auch staatliche oder sonstige Institutionen eine ganze dicke Scheibe abschneiden. Zum Verstehen solcher Serien gehört natürlich Abstraktionsvermögen, das Erkennen und Deuten von Metaphern. Und deswegen ist es auch anspruchsvoll. Welche Vision haben denn die "Pädagogen" des Kinderkanals, die unseren Kinder über verstümmelte Minenopfer berichten?
Schließen möchte ich diesen kleinen Artikel mit einem Zitat der Buchautorin Le Guin, die vor rund 30 jahren schrieb:
„Realismus ist vielleicht die am wenigsten angemessene Form um die unglaublichen Umstände unserer realen Existenz zu porträtieren. Ein Wissenschaftler, der in seinem Labor ein Monster erschafft, ein Bibliothekar in der Bibliothek von Babel, ein Zauberer, der beim Sprechen eines Zauberspruches versagt, ein Raumschiff, das auf seinem Weg nach Alpha Centauri verschollen geht – all diese Dinge sind präzise und fundamentale Metaphern für die menschliche Existenzweise. Der phantastische Erzähler, ob er nun Archetypen aus den Mythen oder die jüngeren Archetypen aus Wissenschaft und Technik zitiert, spricht nicht weniger ernsthaft als jeder Soziologe – und manchmal sehr viel deutlicher. Phantastische Literatur dreht sich um das menschliche Leben; darum wie es gelebt wird, wie es gelebt werden könnte, wie es gelebt werden sollte.“
Nachzulesen auch in diesem sehr interessanten Artikel über Fantasy, Märchen, Sagen, Mythen.
Über gute phantastische Comics, wie z.B. "Der ewige Krieg" oder "Orbital" werden wir zukünftig noch einiges berichten. :)