Psychocandy

Ob im Film, in der Literatur oder im Comic – Genre-Werke sind in Deutschland dünn gesät, manche Leute sprechen sogar von einer Unterbelichtung. Im Comicbereich haben wir zwar seit einigen Jahren einen Zuwachs bei den Graphic Novels, und es gibt auch ein breites Angebot an Cartoon und Klamauk, aber so richtig fesselnde und eigenständige Genre-Stoffe, z.B. aus der Science Fiction finden sich selten. Da ist es besonders schön, wenn ein deutscher Zeichner einen solchen Comic macht, der auf internationalem Niveau mithalten kann. Gerade ist mit Drifter, Band 1 – Crash ein Exemplar dieser Art entstanden. Bezeichnenderweise erschien der Comic zuerst bei Image Comics, dem HBO der Comicverlage in den USA. Die deutsche Ausgabe gibt es nun im Cross Cult-Verlag.

Drifter Cover der Vorzugausgabe

Drifter , Band 1 – Crash, Cover der Vorzugsausgabe

Gezeichnet wurde der Comic von dem deutschen Zeichner Nic Klein, geschrieben von dem Amerikaner Ivan Brandon. Die Künstler waren vorher vorrangig bei Marvel, DC und Image tätig. Hier lassen sie jedoch ein Werk entstehen, das durch Einflüsse des europäischen Comics und Films glänzt.

In Drifter geht es um einen anfangs namenlosen Raumfahrer, der auf einem Planeten bruchlandet, mehrere beinahe tödliche Ereignisse überlebt, und sich dann in der Seltsamkeit eines äußert fremdartigen Planeten zurechtfinden muss. Auf dem Planeten leben verschieden Spezies, allerdings existiert keine große Zivilisation oder fortgeschrittene Gesellschaft, es mutet eher an wie ein Ort irgendwo im Nirgendwo, an den man nicht unbedingt freiwillig verweilt. Die Autoren vermischen hier Stilelemente aus Western und postapokalyptischen Werken. Wie in einem Comic von Moebius oder in einem Film von Sergio Leone wirkt die Handlung dabei sehr aufgesetzt und künstlich, was im Vergleich zu Moebius trotz des viel realistischer wirkenden Zeichenstils (Eye Candy!) eine ebenso psychedelische Stimmung erzeugt.

Drifter 1 Beispielseite

Eye Candy – Beispielseite aus Drifter, Band 1

Überhaupt setzt der Comic statt auf Identifikationsfiguren eher auf die Sogwirkung der Seltsamkeit und Fremdartigkeit. Über Hintergründe, Vorgeschichten und Motivationen der einzelnen Protagonisten wird der Leser im Ungewissen gelassen. Dazu kommen einige erzählerische Kniffe in der Geschichte, die die Band zu einem Pageturner werden lassen, wie zB. ein kleines Zeitparadoxon. Es ist bei diesem Buch so, dass man einige Seiten benötigt, mit der Geschichte warm zu werden, dann mit fortlaufender Story immer mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Nicht treffender hätte der Satz auf dem letzten Cliffhängerpanel auf Seite 92 zum Abschluss von Kapitel 4 lauten können "es gibt immer mehr, das ich nicht weiss". Das macht ungemein neugierig. Und verdammt, nun müssen wir eine ganze Weile auf Band 2 warten…

Ein kleines Easteregg habe ich noch gefunden (wer sich überraschen lassen möchte, sollte diesen Absatz überspringen): in einem Panel zum Ende der Geschichte sieht man Grabsteine u.a. mit den Namen Giraud (Moebius) und Hernandez, offenkundig ein Link zu den Vorbildern der Künstler, und – jetzt kommt es – eine Anspielung an den Film Ein Fremder ohne Namen. Dieser Film entstand 1973 und wurde als US-Spielfilm im Stil der Italowestern gedreht. In einer Filmszene sieht man Grabsteine mit den Inschriften "Sergio Leone" (Für eine Handvoll Dollar etc.) und "Don Siegel" (Dirty Harry), einen Verbeugung Eastwoods vor den großen Regisseuren, die ihn maßgeblich beeinflusst und an die Spitze gebracht haben. Dieser Film hieß – jetzt schließt sich der Kreis – High Plains Drifter.
 
Hervorheben möchte ich in diesem Comic neben den Zeichnungen und der dichten Atmosphäre auch die Sprache, denn die Dialoge und for allem die stylischen Noirtexte aus dem Off sind allesamt geschliffen und durchdacht, und auch die zusammenfassenden "Was bisher geschah…"-Prologe zu jedem Kapitel, überzeugen durch eine geradezu vorbildliche Wortwahl und sprachliche Gewandheit. Ich finde das enorm wichtig. Hier unterstützt jede Formulierung die Atmosphäre der Geschichte.  

Als Bonusmaterial enthält der Band eine Covergalerie, sowie ein Interview mit Nic Klein, in dem der Künstler u.a. über seinen Werdegang und seine europäischen Einflüsse spricht.

Ein tolles Werk für die Seelen der Fans anspruchsvoller Science Fiction. Just like honey.

Drifter, Band 1 – Crash
von Nic Klein und Ivan Brandon
Cross Cult
Hardcover, 138 Seiten, in Farbe, 25.00 EUR (Albumformat)