Mit Wet Moon Band 1 ist der erste Teil der mit dem französischem Kritikerpreis "Prix Asie ACBD" ausgezeichneten Mystery-Noir-Trilogie erschienen. Und dieser Manga hat es in sich.
In den 60er Jahren findet der Wettlauf um die erste Mondlandung zwischen den USA und der Sowjetunion statt. Die Leiche eines japanischen Ingenieurs, der als Zulieferer für einen geplanten Mondflug Spezialteile entwickelt und herstellt wird zerstückelt und über die Stadt verstreut aufgefunden. Der junge Inspektor Sata ermittelt in diesem Mordfall – und bereits zweimal ist ihm die Hauptverdächtige Femme Fatale entkommen.
Gleichzeitig plagt Sato ein Splitter in seinem Kopf, den er sich bei einem Unfall eingehandelt hat. Dieser sorgt mitunter für Halluzinationen und Blackouts. Parallel nutzen einige seiner korrupten Kollegen seine schlechte mentale und geistige Verfassung aus, um mit ihm ein böses Spiel zu spielen…
Wie man einem dem Comic angehängten Interview entnehmen kann, hat der Künstler Atsushi Kaneko mit Mainstream-Mangas im Allgemeinen nicht viel am Hut, sondern wird in dem Buch auch als 'Freier Radikaler' betitelt. Beeinflusst ist Kaneko maßgeblich vom Film. Als sein großes Vorbild nennt er Stanley Kubrik. Die erste Assoziation, die ich als Leser beim Lesen von Wet Moon ziehe, zielt allerdings eher auf Alfred Hitchcocks Werk – das fängt schon beim Cover an, das geht über spannende Szenen mit angsterfüllten Augen bis zu den seltsamen und schrulligen Bad Guys (ich erinnere hier mal an die Charaktere aus "Der unsichtbare Dritte"), letztere sind in dem Manga auch mit herrlichen Bad-Guy-Visagen ausgestattet.
Zudem existieren einige surreale Ausflüge, die an David Lynchs Filme erinnern, dessen Werke der Zeichner auch als Inspirationsquelle nennt. Jedoch arbeitet Kaneko mit Codes, die man als Leser noch deuten kann, während Lynch sich ja in einigen seiner Filme völlig von dem Gedanken einer rationalen Erklärung seiner Bilder getrennt hat. Lynch soll ja einmal gesagt haben, dass man seine Werke zwar interpretieren könne – aber nicht solle. Lynch zielt mit seinen Bildern rein auf Stimmung und ev. persönliche Assoziationen, während bei Kaneko die kleinen seltsamen, phantastisch anmutenden Ausflüge in einigen Bildsequenzen neben der Stimmung auch schon noch sehr gut die Handlung unterstützen, und mit dem Splitter im Gehirn des Hauptprotagonisten sogar noch erklärt werden. Da liegt wohl der große Unterschied zwischen Lynch und Kaneko, der Comickünstler verliert seinen Plott nicht aus dem Auge, und das macht den Manga für mich besser lesbar.
Wet Moon ist zudem auf eine Verfilmung angelegt, bzw. sollte der Manga eigentlich parallel zu einem Film entstehen. Letzterer steht allerdings aus Budgetgründen noch aus.
Kaneko zieht einige Register des grafischen Erzählens. So arbeitet er zwar einerseits mit Mitteln des Film Noir, anderseits hat der Künstler auch ein großes Gespür für Rhythmus im Comic, etwa wenn er einzelnen Sekunden Szenen über mehrere Seiten entschleunigt, oder wenn er mit immer wieder anderen Perspektiven und Bildausschnitten den Leser dazu zwingt, ganz genau und noch ein zweites, drittes oder viertes mal hinzuschauen. Wet Moon ist kein Comic, den man mal eben schnell durchliest, und ich würde den Comic auch nicht unbedingt einem Einsteiger empfehlen. Dafür ist die Geschichte m. E. auf den ersten Blick einfach zu sperrig angelegt – auf Wet Moon muss man sich einlassen.
Die Handlung wird in einem Gegenwartsstrang und verschiedenen Rückblenden erzählt. Wie in einem Puzzlespiel, das der Leser zu lösen hat ergeben die einzelnen Szenen ein Gesamtbild, das nach Abschluss des ersten Bandes der dreiteiligen Serie natürlich noch jede Menge Fragen offen lässt.
Dem Leser wird Konzentration und Aufmerksamkeit abverlangt, etwa dabei, dass der Leser nur am Vorhandensein einer Narbe am Kopf des Protagonisten erkennt, in welcher Zeitebene er sich gerade befindet.
Dafür hinterlässt der Comic – wie ein wirklich gutes Buch oder ein bewegender Film – so etwas wie einen Nachhall. Und so soll das bitte sein.
Auf eine Analyse des Zeichenstils, der sich irgendwo zwischen japanischen Old-School-Mangas, amerikanischen und europäischen Comics bewegt, möchte ich hier an dieser Stelle verzichten. Schaut es Euch bei Interesse einfach mal an.
Wet Moon entzieht sich wie auch viele andere japanische Comics erzählerisch, sowie zeichnerisch den landläufigen Klischees über stereotype Mangas, und erscheint bei Carlsen in einer sehr schön aufgemachten und nach Angabe des Verlages sehr kleinen Auflage im Graphic-Novel-Format. Ich empfehle zuzuschlagen, solange die Reihe verfügbar ist.
Wet Moon
von Atsushi Kaneko
Carlsen
Band 1 von 3: Klappenbroschur, 278 Seiten, s/w, 19.90 EUR
Band 2 erscheint voraussichtlich im Dezember 2015.