In einem Retrowerk bedient man sich der Stilistik, der Herangehensweise vergangener Zeiten. Der Trick dabei ist, es nicht genauso zu machen wie früher, sondern es so zu vollenden, dass es sich heute genauso oder zumindest ähnlich anfühlt wie früher. Denn sieht man heute einen Film aus den 80ern, fühlt der sich oft nicht mehr so an, wie damals. Da gibt es natürlich auch Unterschiede. Manche Werke altern besser, andere schlechter. Das Werk bleibt zwar gleich, aber die Wahrnehmung verändert sich.
John Irving hat mal in einem Roman (mir fällt der Titel leider nicht ein) beschrieben, wie jemand zurück nach Wien reist, wo er seine abenteuerliche Jugend, seine "Sturm und Drang-Zeit" wieder finden möchte. Er findet die Orte, an denen 'alles passierte', aber die Abenteuer kehren nicht zurück. Er erkennt dann, dass das Abenteuer nicht der Ort war, sondern die Zeit".
So ähnlich kann man das auch auf Filme und Bücher, und auch auf Comics übertragen. Und so verwundert es nicht, dass so mancher Comicsammler seine Comics garnicht mehr liest, sondern nur noch als Trophäen aus der Vergangenheit betrachtet, oder aber aus reiner Nostalgie durchblättert – ob das nun Comics von Hal Foster, Hans Rudi Wäscher oder Robert Crumb und Daniel Clowes sind, oft geht es um den aussichtlosen und auch sehr menschlichen Versuch, die Zeit nochmal zurückdrehen zu wollen. Wer tut dies nicht gerne mal.
Retrowerke dagegen versuchen heute das zu machen, was früher gemacht wurde. Und allzu oft geht das schief. Und so muss ein gutes Retrowerk sich des o.g. Tricks bedienen, und sich einige Freiheiten gegenüber dem Original nehmen.
Ein Retrowerk muß dabei ürbigens nicht zwangsläufig das Original 'dekonstruieren' oder mit irgendwas 'brechen' (mit den beiden Floskeln kann man heute nur noch beim Bullshitbingo punkten. Die Kunst besteht hier vielmehr darin, den Spirit des alten Werkes zu entstauben und aufleben zu lassen.
Der Kniff ist, den Spirit des Originalwerkes zeitgemäß zu vermitteln, jeden alten Muff zu entfernen – aber unauffällig. Humor spielt dabei oft eine große Rolle, oder Übertreibung. Oder in einem Comic mit zeichnerischer und erzählerischer Qualität zu überzeugen.
Ein ganz exzellentes Beispiel für einen gelungen Retro-Pulp-Comicroman ist der gerade erschienene Band "Half Paster Danger". Als eine Reminiszenz an das sorglose Actionkino vergangener Zeiten erzählt der Band in Nonstop-Action die turbulente Geschichte einer handvoll Protagonisten, sich sich in den 40er Jahren gegen Nazis und Dinosaurier durchsetzen müssen. Ähnlich wie in den Indiana Jones Filmen stolpern die Helden dabei von einer aussichtslosen Situation in die nächste. Es gibt auf über 200 Seiten natürlich Männerfreundschaften, die unergründliche Femme Fatale, es gibt Ninja-Fighter, Explosionen, U-Boot-Jagden, Nazi-Schurken, Zugverfolgungen, und ab und an fliegen auch mal abgetrennte Körperteile durch die Luft. Und selbstverständlich ist – wann immer jemand ins Wasser fällt – sofort ein Hai zur Stelle. Sprich – es handelt sich um die ausgewrungene Essenz aller Klischees, die man sich bei so einem Buch vorstellen kann, die in ihrer Hemmungslosigkeit einfach köstlich ist.
Der irische Comickünstler Mooney, der sonst für amerikanische Major-Labels arbeitet, und hier sein eigenes Projekt verwirklicht, vermittelt dies alles in einem gekonnten erzählerischen Beat und mit viel Atmosphäre. Das fängt mit den Figuren an, geht über das pseudo-vergilbte Comicpapier und Perspektiven und der Bildausschnittwahl bis hin zur absoluten Respektlosigkeit jedem Realismus gegenüber. Wie es sich gehört finden sich in dem Band überall Cliffhanger. Da merkt man einfach auf jeder Seite: der Mann hat richtig Lust drauf, er hat da ein -im positiven Sinne- Nerdwerk geschaffen.
Ich will das nicht als große Kunst deklarieren. Es ist der Comic, vor dem uns das Feuilleton immer gewarnt hat: inhaltlich absoluter Trash bzw. Pulp vom Feinsten. Der Bildungsbürger wird die Nase rümpfen, der Literaturzirkel wird den Kopf schütteln. Aber wenn ich das Ergebnis, nämlich das Buch in Relation zu dem setze, was der Künstler erreichen wollte (und nur das kann die einzige Messlatte sein), dann kann man nur die volle Punktezahl vergeben. Ich hatte jedenfalls lange nicht so viel Spaß. Am besten liest man den Band übrigens mit einem oder zwei Bubblegum.
Half Past Danger
von Stephen Mooney, Jordie Bellaire
Dani Books
Softcover, 212 Seiten, in Farbe, 18.99 EUR