Head Lopper

Das Inselreich Bara. Auftritt Norgal, der Köpfer, Vollstrecker, Sohn des Minotauren. Hat keine Hörner (abgesehen von seinem Helm) und kein Stierantlitz, dafür sein getreues Schwert. Zudem Agatha Blauhexe im Handgepäck. Besser gesagt, ihren ständig plappernden und nach Fleisch gierenden Kopf.

Der Köpfer ist muskelbepackt, hat einen großen, weißen Bart, ist schnell, wendig und eben ein formidabler … Enthaupter! Auf Durchreise in Bara, wo andauernd Monster und andere Angreifer lauern, hat seine Klinge ziemlich viel zu tun.

Als Königin Abigail den Köpfer beauftragt, den Zauberer vom schwarzen Moor zu töten, um Bara von der Plage an Kreaturen zu befreien, ahnt Norgal nicht, dass im Hintergrund eine gefährliche Intrige gesponnen wird. Für die Strippenzieher stellt er bloß eine Spielfigur dar, die sie ihrem dunklen Ziel näher bringen soll. Und auch Agatha Blauhexe zieht Aufmerksamkeit auf sich …

Andrew Maclean nimmt uns mit auf einen rasant-epischen Abenteuertrip, der von Anfang bis Ende actionreich und unterhaltsam ist. In einer überzogenen Cartoon-Manier fliegen Köpfe, spritzen die Blutfontänen. Der Held ist einzig durch Agatha aus der Ruhe zu bringen, die ihn unentwegt volllabert. Übrigens sind die beiden keineswegs befreundet, ganz im Gegenteil!

Ob Norgal, die blaue Hexe, Mönche oder Bestien: die Figurengestaltung ist großartig, einfallsreich und mit viel Liebe zu Details und Farben zu Papier gebracht.

Auch die Perspektiven aus denen die Kämpfe und anderen Ereignisse dargestellt werden, bieten Abwechslung und bringen ein enormes, erzählerisches Tempo mit. Doch auch witzige Sprüche kommen nicht zu kurz.

Das Setting führt Norgal an verschiedene Orte von Baras. Allesamt sind spannend zu erkunden und bilden eine Welt, die Lust macht auf mehr. Zum Glück warten schon die Fortsetzungen auf alle, die mit dem Köpfer in Band Eins eine gute Zeit hatten!

Head Lopper, bisher 3 Bände (Band 4 folgt am 15.04.2024), je nach Band 22 bis 25 Eur,  erschienen bei Cross Cult

Kaleidoskop

Du bist absichtlich vom Wege abgekommen. Um dich herum Fichten und Kiefern, Eichen, Kastanien, Haseln. Große, rostrote Ameisen am Boden. Weichst den Nesseln aus, den Kletten. Hebst kleine und größere Steine hoch oder auch Hölzer und Borken die am Boden liegen. Darunter huschen aufgeschreckt Asseln und Tausendfüßer davon, ein Ohrenkneifer flieht in ein kleines Loch. Es hallt das Stochern eines Spechtes zu dir rüber. Die dünnen Stämme knarren im Wind wie alte Türen. Dich überkommt ein wohliger Schauer. Ein Eichhörnchen beobachtet dich dabei, wie du es beobachtest. Entfernt im Dickicht bewegt sich etwas. Nur in deinem Augenwinkel – was war es? Ein Wildschwein vielleicht oder ein Troll? Stille. Du streichelst weiches Moos. Auf einem umgefallenen Baum wachsen Pilze, in der Nähe pickt ein Rotkehlchen im Stamm nach Larven.

So oder so ähnlich können Waldspaziergänge sein, wenn man genau hinsieht, lauscht und genießt.

Ein ähnliches Gefühl erzeugt Kaleidoskop von Moki. Dieser Sammelband beinhaltet kurze Comics der Künstlerin von 2006 bis 2023. Darin begegnen wir vielen unterschiedlichen witzigen, schönen, traurigen und auch mysteriösen Wesen. Traumwandlerisch begleiten wir sie in ihrem Tun, in fantastische Welten (auch mal Berlin-Kreuzberg!) atmosphärisch und wundervoll gemalt. Zum immer wieder Besuchen, Träumen und sich Sehnen.

Kaleidoskop, 192 Seiten, erschienen bei Reprodukt, 29,00 Eur

Die Chroniken des Universums

Wir befinden uns an Bord des Weltraum-Erkundungsschiffs Thucydide im Auftrag der Akademie der universellen historischen Wissenschaften. Die Crew aus fünf Studierenden und ihrem Dekan (oder was von letzterem übrig ist) sehen sich plötzlichen Turbulenzen konfrontiert. Sie machen eine Entdeckung, die kurz darauf von einer noch viel größeren übertrumpft wird. Danach ist nichts mehr wie es der Studienplan einst vorsah.

Ein Science-Fiction-Comic, der uns vier menschlich aussehende Studierende in den Mittelpunkt stellt aber auch eine außerirdische Person. Und der Lehrmeister, der sie immer wieder mit Fragen löchert, ist ein Methusalem ohne Rumpf, Unterleib oder Gliedmaßen in einer Glashaube. Praktischerweise kann diese auf einen Apparat montiert werden, der es ihm ermöglicht, seine Schützlinge überall hinzubegleiten. Hinzu kommt ein mysteriöser Gefangener …

Zwischen Neckerei und Konkurrenzkampf (wer weiß, worauf die Antwort) müssen die Forschenden viele anspruchsvolle Situationen händeln, die selbst älteren Schweißperlen auf die Stirn treiben würden. Zum Glück ist der Dekan immer an ihrer Seite.

Autor Richard Marazano und Zeichner Ingo Römling präsentieren eine Sci-Fi-Story, die sich mit Ereignissen überschlägt und alles von der Akademie-Crew abverlangt. Rätselhaft, spannend und fantastisch zu Papier gebracht. Die Figuren, das Schiff sowie die Welt um sie herum begeistern und geben der Geschichte ihre atmosphärische Dichte. Das Ende von Band eins verspricht noch sehr viel mehr.

Die Chroniken des Universums, bisher 2 Bände bei Splitter erschienen, je 56 Seiten, 16.00 Eur

Richard Marazano begegnet euch bei uns im Laden u.a. noch mit den Reihen „Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg“, „Die drei Geister von Tesla“ und „S.A.M.“ Während Ingo Römling natürlich mit der Reihe Malcom Max vertreten ist.

Koma

In einen Sog zieht mich noch immer KOMA von Wazem & Peeters, ein „all time favourite“, der zu Unrecht immer noch recht unbekannt ist.

Das Mädchen Addidas hilft ihrem Vater bei der anstrengenden Arbeit in Schornsteine zu klettern, um diese dort von innen zu reinigen. Dort wird sie oftmals bewusstlos, verfällt in eine Art Koma und begegnet in ihren Träumen Monstern, die offenbar am Grund der Schlote mysteriöse Maschinen intakt halten … Im Verlauf der Comicreihe verwischen dabei schleichend Realität und Traumwelt des Mädchens, so dass man an manchen Stellen nicht mehr genau sagen kann, auf welcher Ebene man sich als Leser gerade befindet.

Das Charakterdesign von Frederik Peeters ist zum Verlieben. Was beim Essen als geschmacklich vollmundig bezeichnet werden mag, bringen in diesem Comic die reizvollen, ausdrucksstarken Figuren zum Ausdruck: sehr rund und gelungen. Ebenso fesseln umgehend die Szenarien, die Handlungsorte, die unwirklich wie auch überzeugend zugleich wirken. Beim Lesen entsteht ein warmes, abenteuerliches Gefühl. Und zeitgleich kommen Fragen auf: „Was passiert hier bloß? Wo wird das hinführen?“ Jeder weitere Band macht noch gespannter auf den folgenden. Und so gehört sich das.

Die Koloration ist wunderbar, das Lettering bringt kleine und große Buchstaben ganz anders und sehr charmant zusammen, doch wird der Lesefluss an keiner Stelle gestört. Zu entdecken sind auch Bilderfolgen ohne Text … diese so vielsagend, dass solcher dort auch nicht notwendig gewesen wäre. Sprechblasen, die zu den bezauberndsten gehören, die sich je in einem Comic fanden interagieren schräg und quer mit den Bildern, entfleuchen oftmals schlängelnd den Mündern der Figuren. Ein Kleinod wundervollster zeichnerischer Erzählkunst ist Wazem und Peeters mit „Koma“ gelungen. Mit Bewunderung für die beiden Schöpfer und einem schweren Hauch Wehmut nähert sich doch unaufhaltsam dann das Ende.

Übrigens gab es tatsächlich in den vergangenen Jahrhunderten Kinder, die aufgrund ihrer kleinen Körpergröße zur inneren Reinigung von großen Schornsteinen eingesetzt wurden: die sogenannten Climbing Boys (in England) oder Kaminfegerkinder (Alpenraum).

Sechs Bände bei Reprodukt erschienen, je 48 Seiten zu 12.00 Eur.

Die Albtraumjäger

Insomnie, die, lateinisch insomnia, zu: insomnis = schlaflos, zu: in- = un-, nicht und somnus = Schlaf

Ein Zustand, den ich niemandem empfehlen kann! Schlafen wäre ja so schön. Doch plagen euch, wenn ihr damit zwar keine Probleme habt, vielleicht häufig Albträume?

Albtraum, der, mit Albdrücken verbundener Traum; Angsttraum

Meint ihr, vor lauter Aufregung und Furcht, gar nicht erst zu schlafen wäre viel besser als böse Träume durchmachen zu müssen?

Diese Überlegung ist verständlich. Das Gefühl, ausgeliefert zu sein und dann nassgeschwitzt, panisch aufzuschrecken vermisse ich zwar wirklich nicht. Aber Insomnie ist dem nicht unähnlich, die Panik, wieder nicht schlafen zu können, nicht fit genug zu sein um nicht mal am gewöhnlichen Alltag teilzunehmen, es ist quasi ein … Wachalbtraum.

Comic, der, meist als Buch oder Heft veröffentlichte [gezeichnete] Bildgeschichte

Wäre es nicht aber toll, sowohl schlafen zu können, als auch von Albträumen befreit zu werden? Da wünschte ich mir die Albtraumjäger her, die in den gleichnamigen Comics was wohl tun? Ganz genau! Allerdings gehen die Kinder (denn nur Kinder können diese Aufgabe erfüllen) ausschließlich in den Albträumen anderer Kinder und Jugendlicher auf die Jagd. Sie suchen darin die Ursache für deren Ängste und korrigieren diese Umstände.

In Träume tauchen und darin handeln haben ja schon die Panzerknacker gemacht, allerdings unehrenhaft um an die Kohle des alten Ducks zu kommen. Einen Film, der lose darauf basiert gab es wohl auch mal (zwinker zwinker), aber so ausgefuchst und bestens vorbereitet wie die Albtraumjäger agieren, bietet ihre Geschichte eine ganz eigene Spannung.

Franck Thilliez geht den Sorgen der Kinder und Jugendlichen einfühlsam auf den Grund. Mit Figuren, die sich aufeinander verlassen können und mutig über sich hinauswachsen. Er nimmt die düsteren Gedanken und Befürchtungen, die den Patienten der Albtraumjäger durch Unsicherheiten oder einem brüchigen Umfeld entstehen ernst. Und wie viele junge Menschen können behaupten, sie würden von Erwachsenen ernst genommen werden?

Yomgui Dumont glänzt mit seinem originellen Charakterdesign: ausdrucksstark, sympathisch aber auch schräg. Seine verspielte Seitengestaltung macht das Lesen noch spannender, die liebevollen Hintergründe die Welt der Albtraumjäger tief und stimmungsvoll.

Es geht um Albträume, um mentale Gesundheit und es wird schon manches Mal etwas nervenaufreibend. Es lohnt sich auf jeden Fall!

Altersempfehlung: 10 – 99 Jahre (für nicht zu zart besaitete Gemüter)

Die Albtraumjäger, bislang 6 Bände, erschienen bei toonfish, 52-64 Seiten, je 14,95 Eur

Percy Pickwick

Eine Bibliothek in Neukölln Mitte der 90er Jahre …
Die Auswahl an Comics ist mehr als übersichtlich und dass alles, was Sprechblasen hat im Kinderbereich zu finden ist, selbst Fritz the Cat (definitiv NICHT für Kinder gedacht) ist auch ein klares Zeichen. Hier ist man noch nicht bereit. Jedoch! Sehet! Zwischen Fritz, Asterix und Marsu gibt es zudem Percy Pickwick, ehemaliger britischer Geheimagent und allein schon aus geografischen Gründen Gentleman par excellence.

Percy Pickwick wurde tatsächlich aber 1959 in Belgien von einem Belgier erschaffen, von Raymond Macherot. Im Original „Clifton“ war er hierzulande unter diesem Namen (oder auch als Sir Harold) im ZACK Magazin, den Fix & Foxi Heften und im Yps anzutreffen, bevor Carlsen ihn als Percy Pickwick die Albenreihe gab, von der in der Bibliothek die Rede ist.

Seit 2014 bringt der Splitter-Verlag die Geschichten mit viel Aufwand (die Comics wurden im besten Sinne überarbeitet) in sehr schönen, dicken Sammelbänden unter dem Label toonfish mit vielen Hintergrundinformationen und zusätzlichen Illustrationen heraus.

Verschiedene Autoren und Zeichner ließen den Sir spannende Abenteuer erleben, denn obwohl im Ruhestand und höchstens den Pfadfindern als „Großer Reiher“ Vorbild seiend, eilt Colonel Pickwick sein Ruf als fantastischer Amateurdedektiv voraus. By Jove, gefährlich geht es dann zu, und mit Tempo. Doch auch der Spaß kommt nicht zu kurz und Percy begegnet allerlei kauzigen Gestalten. Ach ja, und Katzen gibt es auch.

Zeichnerisch top notch, je nach Künstler sind die Figuren mal ulkiger, mal sehr seriös im Strich. Das Lokalkolorit kommt auch nie zu kurz und neben flotten Oldtimern darf der 5-Uhr-Tee nicht fehlen.

Ob in den 60ern zuerst oder vielleicht in den 90ern zuletzt gelesen, ist Percy Pickwick noch immer allerbeste Unterhaltung. Heavens!

Percy Pickwick ist erschienen bei toonfish, 6 Bände zu je 29,95 Eur
Alle Bände findet ihr bei uns im Sortiment.

WYND

In die letzte verbliebene Menschenstadt Pipetown, die sich von magischen Kreaturen bedroht fühlt, kommt der berüchtigte bandagierte Mann, um dafür zu sorgen, dass auch noch das letzte Fünkchen Zauberei gefunden und ausgerottet wird. Wynd hilft in der Küche der Taverne seiner Adoptivmutter und hält ansonsten gerne in der Stadt scheu nach seinem Schwarm Ausschau. Egal wo er sich sehen lässt muss er eine Kapuze tragen, denn das Wynd spitze, nichtmenschliche Ohren hat, ist ein Geheimnis, welches ihm zum Verhängnis werden könnte. Mit dem Auftauchen des bandagierten Mannes fasst seine Mutter den Entschluss, Wynd muss fliehen …

Der Comic von Autor James Tynion IV und Zeichner Michael Dialynas ist der Start einer spannenden Serie um magische Wesen, die als bösartig und gefährlich gelten und der Menschheit, die sich vor ihnen schützen will, egal was sie dafür tun muss. Doch haben sie mit ihren Befürchtungen recht, oder irren sie sich in ihrer Sorge vor dem Fremden?

Das Kreativduo etabliert eine Fantasywelt, die auf den ersten Seiten düstere Vorboten von einer nur oberflächlich friedlichen Stadt und ihrer Bevölkerung schickt. Dialynas zeichnet mit vielen tollen Details und lebhaften Figuren ein Pipetown, welches zum Entdecken einlädt und noch neugieriger darauf macht, was uns und Wynd außerhalb der Menschenstadt erwartet.

Für Fans von „Avatar – Der Herr der Elemente“ und „Amulet“.

Von James Tynion IV findet ihr bei uns im Laden auch die Reihen „Something is Killing the Children“, „Bitter Roots“, „The Department of Truth“

WYND -Buch Eins: Seltsames Blut, erschienen bei Carlsen Comics 128 Seiten, 16.00 Eur

Die Lesereise

Der Autor G.H. Fretwell wird mit seinem neuen Roman auf Lesereise geschickt. Aber an keinem der Veranstaltungsorte will auch nur eine einzige Buchsignierung gelingen. Das Personal zeigt sich darüber sehr verwundert. Fretwell bleibt noch bescheiden und hoffnungsvoll. Doch nach und nach werden die Enttäuschungen und Wirrungen immer mehr und dann geschieht auch noch ein Unglück, woraufhin Fretwell in Bedrängnis gerät.

Ruhig erzählt der Brite Andi Watson in wunderbaren, schwarz – weißen, schraffierten, fast skizzierten Bildern eine Geschichte mit ausgesprochen merkwürdigen, kauzigen Charakteren, die nicht selten aneinander vorbeireden, was teilweise beängstigende Formen annimmt. Die Figuren sind minimalistisch gehalten, aber gleichzeitig ausdrucksstark und witzig gezeichnet. Meisterhaft.

Wer passiv-aggressive Tendenzen hegt, könnte bei dem Verhalten der Leute, auf die der Protagonist trifft, mindestens ein nervöses Augenlidzucken bekommen. Umso besser, dass wir hier nur beobachten und nicht in seiner Haut stecken. Die Geschichte öfter zu lesen und zu schauen, was einem entgangen ist, bietet sich an.

Das Buch wurde von der Jury des Tagesspiegels zum „Comic des Jahres 2022“ erwählt.

Die Lesereise 268 Seiten, von Andi Watson, erschienen im Schaltzeit Verlag, 25.00 Eur

The Me You Love in the Dark

Sie sind kreativ tätig aber Ihnen fehlt es an Ideen? Sie suchen einen Tapetenwechsel, um Neues zu schaffen? Nicht schlimm, wenn es dabei spukt? Dann suchen Sie sich doch eine gruselige Immobilie, so wie Ro Meadows. Aber Vorsicht vorm Stockholm-Syndrom …

In dem Comic von Autor Skottie Young und Zeichner Jorge Corona (sparen Sie sich Ihre Witzeleien, er war vor dem Hype da) sucht Malerin Ro Inspiration für ihre nächste Ausstellung und beschließt, sich in einem alten, leerstehenden Haus mit fragwürdiger Reputation zurückzuziehen. Nur sie, viel Wein und ihre Schallplatten. Und dann, eines Tages … eine unerwartete Muse, die alles ändert.

„The Me You Love in the Dark“ ist nicht nur eine Suche nach einem Motiv um die blanke Leinwand zu füllen, sondern erzählt auch von einer Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit, selbst auf ungewöhnlichste Weise. Beides kann von freudiger Ekstase jedoch zu einem Alptraum werden.

Jorge Coronas Zeichnungen und die Farbgebung von Jean-Francois Beaulieu bringen in ihrer Ausdrucksstärke Skottie Youngs Erzählung selbst schon malerisch zu Papier. Der emotionale Sog, in dem Ro sich letztlich wiederfindet, hin- und hergerissen zwischen dem vermeintlichen Versprechen von Erfüllung und einer gefährlichen, grauenhaften Ebene sorgt für Gänsehaut. Leseempfehlung für regnerisch kalte Nächte, nur bei Kerzenlicht, idealerweise in einem knarzenden Haus beobachtet, von wer weiß was.

The Me You Love in the Dark, Splitter, 128 Seiten, 24.00 Eur

Eine Reise unter die Erde – Die Geheimnisse der Welt unter uns

Als bekannt wird, dass Hades, der Herr der Unterwelt, jemanden zur Nachfolge sucht, finden sich sehr viele Interessierte. Mit einem simplen Bewerbungsgespräch ist dieser Nischenjob aber nicht zu bekommen. Stattdessen erwartet die Menge eine Mischung aus „Es war einmal … das Leben“ und „Battle Royal“ (oder „Die Tribute von Panem“, oder auch „Squid Game“, je nach Generation, die das hier liest).

Es wird ein lehrreicher Streifzug durch die Schichten des Erdreichs und ein todbringendes Ausschlussverfahren für die, die bei den Fragen, die dazu gestellt werden, nicht richtig liegen. Begleitet wird bei diesem Assessment-Center die mutige, 16-jährige Suzanne, die dort Tom kennenlernt, der sich durch seine Phobie quasi allem gegenüber sehr schwertut, den Aufgaben zu begegnen. Doch gemeinsam kommen sie voran.

Während im (aber auch vorm) Comic alle Beteiligten von Schluff, Bakterien oder Nematoden erfahren, lernen die Figuren sich auch gegenseitig kennen und ihre Motivation, bei dem Spektakel mitzumachen. Nicht zuletzt wird aufgezeigt, was schiefläuft im Umgang mit dem Erdboden, was falsche Bewirtschaftung und andere menschengemachte Einflüsse verursachen, aber auch, was besser gemacht werden kann. Vielleicht gelingt es sogar, Hades das ein oder andere Schnippchen zu schlagen.

Zeichner und Autor Mathieu Burniat bringt der restlichen Menschheit unter Beratung von Biologe Marc-André Selosse nahe, wie faszinierend, vielfältig und ungeheuer clever die Lebewesen und Mikroorganismen des Erdreichs agieren und aufeinander einwirken. Dies gelingt Burniat alles andere als staubtrocken, sondern ausgesprochen humorvoll, einfallsreich, vollgestopft mit Funfacts und Drama. Wer kommt in die nächste Runde? Wer scheidet aus und somit dahin? Wer wächst über die eigenen Hemmungen hinaus?

Die Illustrationen sind voller kreativer Ideen, was die Darstellung des Erdreichs und dessen Bevölkerung anbelangt, Details, die neben dem vielen Wissenswerten zum mehrmaligen Erkunden einladen und Charaktere, die mitreißend sind in ihrem Wesen und ihrer Entwicklung. Sie sind schwungvoll, lebendig und ihre Mimik – diese Emotionen in ihren Gesichtern, fantastisch!

Eine Reise unter die Erde, erschienen bei Knesebeck, 176 Seiten, 24 Eur

Weitere Comics von Mathieu Burniat : „Das Geheimnis der
Quantenwelt“, „Das Geheimnis des unfehlbaren Gedächtnisses“

Asadora!

Wenn von einem Taifun tatsächlich zwischen verwüsteten Häusern ein gigantischer Fußabdruck hinterlassen wird, tut sich damit in „Asadora“ nur der Anfang eines komplex mit verschiedenen Charakteren verflochtenes und über Jahrzehnte erzähltes Mysterium auf.

Das zu Beginn junge Mädchen Asa Asada, das in einer geschwisterreichen Familie stets übersehen wird, begleitet die Geschichte von 1959 bis 2020. Über eine skurrile Situation begegnet Asa dem mit persönlichen Problemen vollgepackten und zwielichtig wirkenden Piloten Haruo, der nicht nur für ihre Zukunft wegweisend werden soll.

Kurz nach ihrem aufeinandertreffen geht ein mächtiger Taifun übers Land hinweg und richtet massive Schäden an. Gemeinsam entwickelt das ungleiche Gespann einen wagemutigen Rettungsplan, den von der Katastrophe betroffenen Menschen zu helfen.

Dies führt zu einer unwirklichen Entdeckung und prägt die Bekanntschaft von Asa und Haruo nachhaltig.

Weitere Figuren werden nach und nach eingeführt und ihre Zusammenhänge zur Titelheldin sowie der Naturgewalt offenbaren sich behutsam und faszinierend.

Naoki Urasawa und sein Team erzählen eine abenteuerliche Reise und Charakterstudie seiner Protagonistin mit ausdrucksstarken Figuren, japanischer Geschichte und Folklore. Der kesse Humor Asas, tiefe Emotionen und Thrill machen Urasawas Mangareihe zu einer Serie die Band für Band mehr Suchtpotenzial entwickelt.

Die vehemente Durchsetzungskraft darin, den Schwachen helfen zu wollen und ihr Optimismus lassen Asa schon als Mädchen zu einer Heldin werden und es bleibt aufregend zu lesen, wie es mit ihr weitergehen wird.

Asadora! erscheint bei Carlsen Manga, bislang 6 Bände je 12 EUR. Band 7 erscheint im Februar.

Von Naoki Urasawa finden sich auch folgende Titel in unserem Laden: Billy Bat, Monster, 20th Century Boys und Pluto

Merci

Sich missverstanden oder gar nicht erst wahrgenommen fühlen sich wohl viele junge Leute. Merci Zylberajch und ihre Freundinnen lassen ihren Frust darüber in Form von ein wenig Vandalismus hier und da raus. Als eine ihrer Aktionen auffliegt, besteht Merci strikt darauf, Einzeltäterin gewesen zu sein und bekommt aufgrund ihrer beinahe 16 Jahren Sozialstunden aufgebrummt.

Um diese zu absolvieren, landet sie am in ihrer Wahrnehmung langweiligsten Ort überhaupt: im Rathaus beim Gemeinderat. Mit Politik hat sie nichts am Hut, diese ändere ja doch nichts, weshalb sie auch nicht wählen gehen würde, auch wenn sie dann könnte. Nun diskutiert sie mit den Mitgliedern, für welches Projekt sie das ihr zur Verfügung gestellte Budget aufwenden könnte. Mit dem Ergebnis haben die Erwachsenen, welche Merci als zynische Emo-Teenagerin kennen und kennenlernen, so gar nicht gerechnet.

Autor Zidrou (das ist Benoît Drousie) fasst die Ansichten und die Hoffnungslosigkeit der Jugend authentisch in Worte, begleitet von einer Schar spezieller Nebenfiguren. Seien es ABBA-begeisterte Eltern, der Gemeinderat, wo alle mehr am Jammern als am Lösungen finden sind oder der Jugendrichter aus Burkina Faso, der sich nach dem Vorfall mit Mercis Gemurre konfrontiert sieht. Es spielt sich eine richtig französische Dramödie ab, festgehalten in den gekonnten Zeichnungen Arno Monins. Großzügige Bilder machen das kleine Kaff und dessen Bevölkerung lebendig, ein Gefühl von Sommer kommt auf.

Von Zidrou könnt ihr bei uns im Laden auch noch folgende Bücher finden: Die Adoption, Die Bestie, Das unabwendbare Altern der Gefühle, Percy Pickwick, Die neuen Fälle von Rick Master, Shi, Spirou und Fantasio, Wundervolle Sommer, Dein Verbrechen
Auch von Arno Monin: Die Adoption 1+2

Merci, 64 Seiten, € 16,99, erschienen bei Panini Comics

Der Weltraumpostbote

In „Der Weltraumpostbote“ zeigt der kanadische Comiczeichner Guillaume Perrault, dass Veränderungen durchaus bereichernd sein können, dass es sich lohnt, von der eingefahrenen Route abzuweichen, die Komfortzone zu verlassen.

Bob, der im All Post ausliefert, lernt auf seiner neuen Route allerlei verschrobene Charaktere kennen. In wundervoll detaillierten, zugleich minimalistisch – aufgeräumten, aber nie langweiligen Bildern aus fantasievollen Formen und unaufgeregten, flächigen Farben, erzählt Perrault eine verrückt – witzige Geschichte mit einem sympathischen Helden und einer universellen Botschaft.

Oder kurz gesagt: eine stilistisch einzigartige All-Age-Science-Fiction mit philosophischer Ebene!

Inzwischen hat sich „Der Weltraumpostbote“ zu einer kleinen Reihe entwickelt. Drei Bände sind bislang erschienen, die aber auch jeweils einzeln sehr gut gelesen werden können. Schaut mal rein, wir sind Fans!

Weitere Informationen; Klappentexte zu allen drei Bänden und Leseproben findet ihr auf der Website des Verlages:

https://www.rotopolpress.de/produkte/der-weltraumpostbote

Erschienen im Rotopol Verlag,
Der Weltraumpostbote
Der Weltraumpostbote – Motorräuber
Der Weltraumpostbote – Hungrig durchs Weltall
Hardcover, in Farbe, je 18 Euro

Der Mitternachtsgarten

„Was ich dir versuche zu erklären, ist, dass es keine Beweise für Theorien über Zeit gibt. Man kann nichts beweisen!“ Tom aber lächelt nur wissend, denn er hat mehr gesehen, als sein Onkel ahnen könnte …
Als sein Bruder in den Ferien die Masern bekommt, wird Tom kurzerhand in Quarantäne bei seiner Tante und seinem Onkel einquartiert, die mit der alten Mrs.  Bartholomew in deren Haus wohnen. Hier strotzt es nur so vor Langeweile bis Tom auffällt, dass die alte Standuhr im Flur dreizehnmal geschlagen hat. Und er kurz darauf im eigentlich tristen Hof statt diesem einen riesigen Garten vorfindet … und eine rätselhafte Begegnung macht.
Der Mitternachtsgarten, frei nach dem Roman von Phillipa Pearce, ist Poesie. Eine dichte, zauberhaft – mysteriöse Geschichte, die perfekt geeignet ist, sich bei Herbst- und Winterwetter auf der Couch gemütlich zu machen.

Der Mitternachtsgarten

Dynamisch wuchernd erweckt Edith (Edith Grattery) mit ihren Linien und Farben den Garten zum Leben und Toms Gedanken zu alldem werden uns in Briefen dargelegt, die er seinem Bruder schreibt. Obwohl es im Garten immer hell ist und er einen friedlichen Eindruck macht, wird nach und nach etwas Melancholisches darin sichtbar.

Wer sich nach dieser Lektüre keine Standuhr wünscht und auf dreizehn Schläge und einen wunderbaren Garten im Hof hofft, kann nur Angst vor Pollenflug haben.

Der Mitternachtsgarten, 104 Seiten ist erschienen bei Toonfish und kostet 19,95 Euro.

Außerdem von der Künstlerin bei uns zu haben: „Die Sturmhöhe“ (Splitter Verlag)

Der Schweinehund

Vater unbekannt. Zwei Männer, die in Frage kämen, doch nicht einmal mit deren Namen wollte die Mutter von Max herausrücken, nur so viel hielt sie von ihm: Er war ein Schweinehund.

Geboren im Amazonas aber in Frankreich bei seiner Mutter aufgewachsen zieht es Max auf der Suche nach seinem Erzeuger zurück nach Südamerika. Mit dabei zwei Fotos, die ihn als Baby – und auf jedem Bild einen anderen Mann zeigen.

Doch welcher der Beiden ist es, lebt er noch und warum soll er solch ein Schweinehund gewesen sein, dass seine Mutter den Kontakt abbrach und mit Max in ihre Heimat zog?

Ein heftiger Abenteuerthriller von Régis Loisel gespickt mit Herz und Humor. Der Versuch die eigene Identität durch Puzzleteile aus der
Vergangenheit zu finden, in dem Prozess daran zu wachsen und Menschen kennenzulernen die prägen. Die Hitze des Amazonas aber auch der Anspannung überträgt sich, die Inszenierung durch Olivier Pont ist reich an Dschungeldichte und stimmungsvoll. Die Charaktere so lebendig, die einen so sympathisch wie die anderen ziemlich bedrohlich.

Und wäre die Vaterfrage nicht schon mysteriös genug legen die letzten Seiten des ersten Bandes noch mal eine Schippe drauf …

Der Schweinehund von Régis Loisel und Olivier Pont erscheint bei Carlsen
Comics, 96 Seiten, Band 1 € 18,- Band 2 € 20,-